Liebe Bedrückt,
das ist eine sehr, sehr schwierige Situation.
Ich denke, dass sich das Problem nur durch intensive Gespräche "lösen" lassen wird. Ich schreibe das "lösen" in Anführungszeichen, weil ich nicht weiß, ob eine Lösung unbedingt positiv sein muss, im Sinne von: ihr lebt als Familie weiter und seid glücklich bis an das Ende eurer Tage. Leider sehe ich schon das Potenial für ein Auseinanderbrechen der Familie und deshalb wäre es vielleicht sinnvoll, sich professionelle Unterstützung zu suchen. Ihr seid alle beide emotional sehr betroffen, bewegt, "aufgeladen", da kann es schon hilfreich sein, wenn man sich Hilfe von außen holt, um nichts zu übersehen, nichts zu überstürzen, vielleicht Lösungsansätze zu finden, die man selbst gar nicht so bedacht hat.
Du schreibst zweimal, dass du davon ausgehst, dass dein Mann euch verlassen würde.
Einmal, wenn du dem Test nicht zustimmen würdest.
Einmal, wenn der Test beweisen würde, dass euer Kind genetisch nicht das Kind deines Mannes wäre.
Für mich ist das nicht nur sehr viel Druck, den dein Mann an dieser Stelle aufbaut, auch ansonsten scheint er ja zu bestimmen, wie ihr mit dem Thema Elternschaft umgeht. Er bestimmt, dass euer Kind nichts von der
ICSI erfahren darf. Er lebt sein altes Leben trotz Kind weiter. Er kommt nun mit der genetischen Verwandtschaft daher. Wenn er schon immer zweifelt, ob eine
ICSI korrekt laufen kann, hätte er sie letztlich ebenso ablehnen müssen wie alle andere Optionen (HI usw.). Gut, letztere Feststellung ist müßig, aber unwichtig finde ich sie nicht. Oder er hätte sofort nach der Geburt einen Vaterschaftstest machen lassn müssen.
Wie dem auch sei, meiner Ansicht nach wäre es JETZT Zeit für eine Klärung all dieser Fragen.
Euer Kind kann und sollte erfahren, wie es gezeugt wurde.
Dann sollte dein Mann den Mumm haben, mit seinem Kind zu sprechen und ihm in die Augen zu sagen, was er denkt.
Auch das Kind kann und soll entscheiden, ob es dem Gentest zustimmt (du kannst dich ja mit deiner Entscheidung daran orientieren).
Und sollte der Test wirklich gemacht werden ergeben, dass das Kind nicht das genetische Kind deines Mannes ist, soll er sich nicht heimlich absetzen, sondern auch zu seiner Entscheidung stehen und das auch so sagen.
Und auch das Kind kann sich überlegen, ob es zu jemandem, dem die Genetik über alles geht, wirklich noch Kontakt will.
Auch du könntest dir überlegen, zu welchem Preis du die Familie erhalten willst.
Das sind natürlich alles SEHR schwerwiegende Fragen, die man nicht mal "einfach so" in den Raum stellt, gerade weil es auch das Kind belasten würde. Von daher rate ich eben zu einer professionellen Beratung für deinen Mann und dich, damit ihr Optionen überprüft und Fragen klärt, aber im Hinterkopf sollte man meiner Ansicht nach all diese Fragen AUCH haben.
Es geht nicht nur um deinen Mann und seine Ansichten, dein Kind und auch du, ihr seid beide elementar davon betroffen und das muss dringend berücksichtigt werden. Wie heißt das doch immer so schön? Diese Fragen müssen ergebnisoffen diskutiert werden, denn es wäre ja durchaus möglich, dass du auf die Fortsetzung des Familienlebens von dir aus verzichten möchtest, wenn dies nur dem "Diktat" deines Mannes möglich ist.
Sollte dein Mann keine Beratung wollen, steht es dir ja frei, alleine eine Beratung in Anspruch zu nehmen, um deinen Gedanken zu sortieren. Das kann sehr hilfreich sein.
Ich wünsche dir und deinem Kind alles Gute!
Blüte